Wohnen und Pflege für älter werdende Drogen gebrauchende Menschen
Rückblick auf den JES-Fachtag am 16. Oktober 2025 im Unperfekthaus Essen

„Wie können Menschen, die seit vielen Jahren Drogen konsumieren, im Alter gut leben, wohnen und gepflegt werden?“
Diese Frage stand im Mittelpunkt des Fachtags „Versorgung älter werdender Drogen gebrauchender Menschen“, den JES NRW am 16. Oktober 2025 im Unperfekthaus in Essen veranstaltete. Fachleute aus Pflege, Suchthilfe, Wohnprojekten und Selbsthilfe diskutierten aktuelle Herausforderungen und stellten praxiserprobte Modelle vor.
Ergebnisse der JES-Umfrage boten Einblick in Lebensrealitäten
Zum Auftakt stellte Renate Hermanns, Vorstandsmitglied von JES NRW, die Ergebnisse der landesweiten Umfrage unter 118 Drogen gebrauchenden Menschen vor.
Das Durchschnittsalter lag bei 44,3 Jahren, die älteste Person war 79 Jahre. Viele Befragte leben mit mehreren chronischen Erkrankungen, darunter Schmerzen, Depressionen, Angststörungen, Gedächtnisprobleme, Venenleiden und Bluthochdruck. Häufige Behandlungen sind Substitution, Psychotherapie und HIV-Therapie.
Die Mehrheit wohnt zur Miete, meist in eigener Wohnung oder betreutem Wohnen. Soziale Kontakte und Freundschaften werden als besonders wichtig für das Wohlbefinden empfunden.
Für das Leben im Alter wünschen sich viele gemeinschaftliche Wohnformen:
- 94 % können sich vorstellen, frühzeitig in eine passende Wohnform zu ziehen,
- 58 % wären bereit, dafür den Wohnort zu wechseln.
Zentrale Zukunftswünsche sind Selbstbestimmung, soziale Einbindung, Sicherheit und barrierefreies Wohnen. Auch Freizeitaktivitäten wie kreative Projekte, Gartenarbeit, digitale Hobbys und politisches Engagement spielen eine große Rolle.
Das Fazit: Es braucht mehr soziale Teilhabe, spezialisierte Pflegeangebote und flexible Wohnformen, die die Würde und Lebensqualität älter werdender Konsumierender sichern.
Wohnen ist ein Menschenrecht

Als erste Referentin stellte Hanna Veith das Projekt Housing First Düsseldorf e.V. vor. Der 2021 gegründete Verein ist eine Kooperation von Wirtschaft, Wissenschaft, Sozialarbeit und privatem Engagement.
Das Team hat bislang rund 100 ehemals wohnungslose Menschen in dauerhafte Mietverhältnisse vermittelt. Das Leitmotiv lautet: „Wohnen ist ein Menschenrecht.“
Housing First trennt Wohnen und Betreuung klar voneinander. Die Unterstützung ist freiwillig, individuell und flexibel. Das Ziel ist, Wohnungslosigkeit direkt zu beenden und nicht nur zu verwalten.
Mit Blick auf das Älterwerden arbeitet Housing First eng mit Pflegediensten, Betreutem Wohnen und sozialen Einrichtungen zusammen, um auch im Alter ein selbstbestimmtes Leben in der eigenen Wohnung zu ermöglichen.
Spezialisierte ambulante Pflege

Vor der Pause präsentierte Martin Mehlich das FELIX Pflegeteam gGmbH – einen spezialisierten ambulanten Pflegedienst in Berlin-Wedding und Kreuzberg.
Das Team betreut Menschen mit HIV/Aids, Hepatitis, Suchterkrankungen, psychischen Störungen und onkologischen Erkrankungen. Es gehört zum Unternehmensverbund Lebensfarben und arbeitet eng mit sozialen Trägern sowie dem Paritätischen Wohlfahrtsverband zusammen.
Zum Angebot gehören klassische und psychiatrische Pflege (APP) und Pflegewohngemeinschaften. Die Finanzierung erfolgt über Krankenkassen, Pflegeversicherung, Sozialhilfeträger und aus Fördermitteln des Berliner Senats im Rahmen des Integrierten Gesundheits- und Pflegeprogramms (IGP).
Das FELIX Pflegeteam arbeitet antidiskriminierend und konsumakzeptierend, kooperiert mit Ärztinnen und Ärzten aus der Substitution und engagiert sich in Ausbildung, Aufklärung und Entstigmatisierung. Für seine Arbeit wurde es mit dem Zertifikat „Lebensort Vielfalt“ ausgezeichnet.
Doch die Anzahl der älter werdenden Konsumierenden steigt und so wächst der Bedarf an spezialisierter Pflege. Oft fehlen geeignete Einrichtungen, insbesondere für Menschen mit kognitiven Einschränkungen.
Pflege, Teilhabe und Suchtakzeptanz

Nach der Pause stellte Torsten Neumann das Pflegewohnheim Haus Maria Veen in Reken vor. Betrieben wird es vom Verein für katholische Arbeiterkolonien (VfkA).
Die Einrichtung bietet 116 Plätze für Menschen mit Pflegebedarf (ab Pflegegrad 2), viele davon mit Suchterkrankungen, psychischen oder dementiellen Beeinträchtigungen. Das Durchschnittsalter liegt bei 63 Jahren, was deutlich niedriger ist als in üblichen Pflegeheimen.
Das Haus verbindet Pflege, soziale Integration und suchtspezifische Hilfen. Dazu gehören Substitutionsausgabe, Suchtberatung, tagesstrukturierende Angebote (z. B. Gärtnerei, Küche), Begleitung zu Arztterminen sowie Freizeitgestaltung.
Die Arbeit erfordert Empathie, Toleranz und Beziehungsarbeit, da viele Bewohnerinnen und Bewohner biografisch belastet sind oder schlechte Erfahrungen mit anderen Institutionen gemacht haben. Ergänzt wird das Konzept durch Seelsorge und persönliche Begleitung, mit dem Ziel, ein würdiges, selbstbestimmtes Leben trotz Krankheit und Sucht zu ermöglichen.
Pflegebildung und Haltung
In der abschließenden Podiumsdiskussion diskutierten die Teilnehmenden aus Pflege, Suchthilfe und Wissenschaft über Ausbildung und Haltung in der Pflege älterer Drogengebrauchender.

Zentrale Punkte:
- Die generalistische Pflegeausbildung umfasst Kranken-, Kinder- und Altenpflege. Das Thema Abhängigkeit wird meist nur kurz in einer Woche behandelt.
- Gute Pflege ist menschenzentriert. Pflegende sollten sich fragen, wie sie selbst gepflegt werden möchten und danach handeln.
- Die Lebenserfahrung der Patientinnen und Patienten sollte als Ressource anerkannt werden.
- Das Projekt „Sucht und Alter“ hat mit dem „Handbuch Substanzkonsum im pflegerischen Alltag“ ein wichtiges Praxiswerk geschaffen.
- Zwischen Pflegeheimen und Arbeitsprojekten entstehen produktive Synergien, die Teilhabe und Verständnis fördern.
Das Fazit: Es gibt bereits vielversprechende Ansätze, doch sie müssen weiter ausgebaut und gezielt an die Bedarfe älterer Drogen gebrauchender Menschen angepasst werden.
Abschluss und Ausblick
Den Abschluss bildete der Slam-Beitrag von Hannah Rau, die ideenreich und mit viel Tiefgang zeigte, wie unterschiedlich Hilfsbedürftigkeit wahrgenommen und beantwortet wird.
Aus dem Fachtag ging zudem ein Arbeitskreis hervor. Das erste Treffen auf Einladung von JES NRW hat bereits stattgefunden. Ziel der Zusammenarbeit ist, die Themen Wohnen, Pflege und Teilhabe älterer Drogengebrauchender gemeinsam weiterzuentwickeln.
Fazit
Der Fachtag machte deutlich, dass es bereits engagierte Projekte und spezialisierte Ansätze gibt. Doch um den vielen älteren Drogen gebrauchenden Menschen ein würdevolles Leben im Alter zu ermöglichen, braucht es mehr Vernetzung, mehr Wissen in der Pflegeausbildung und mehr akzeptierende Wohn- und Pflegeangebote.
An dieser Stelle bedanken wir uns beim Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales (MAGS) des Landes Nordrhein-Westfalen, ohne deren finanzielle Unterstützung unser Gesamtprojekt nicht möglich wäre. Zudem danken wir den Krankenkassen für ihre spezielle Förderung zum Fachtag.


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